Notlandung auf der Hotelterrasse

(Auszug aus Ernst Tanners Buch «Dem Tod entronnen – immer wieder»)

Der Präsident des Aeroclubs der Schweiz fragte mich im Jahr 1977 an, ob mich einige ihrer Maschinen beim Flug über die Wüste nach Kamerun begleiten dürften. Sie wollten die Gelegenheit nutzen, einen Helikopter beim risikoreichen Unternehmen als Nothilfe bei sich zu haben. So wurde ich von zweiundzwanzig Flugzeugen begleitet. Natürlich haben sie mich nicht eskortiert, denn sie flogen schneller als ich. Es war mein vierter Überflug. Wir hatten vereinbart, uns in Olbia, Sardinien, wieder zu sammeln. 

Über den Alpen herrschte schlechtes Wetter. Deshalb wählte ich die Route über Genf–Marseille–Korsika nach Olbia. Das Wetter war auch hier nicht besonders gut und verschlechterte sich über Meer zusehends. Vor allem blies ein kräftiger Ostwind und liess mich kaum vorankommen. Extreme Verhältnisse fand ich dann aber in der Meerenge zwischen den beiden grossen Inseln Korsika und Sardinien: Unter mir brauste das Meer, warf wilde Gischt an die steilen Ufer, und langsam setzte die Dämmerung ein. Mir schien, als käme ich nur schrittweise voran. Ich kämpfte gegen den Wind und die Zeit und den Treibstoffverbrauch. Mir wurde immer deutlicher, dass bei diesem Kampf der Treibstoff vor Olbia zu Ende gehen musste. 

Endlich hatte ich den Windkanal, die Strasse von Bonifacio, geschafft und flog an der Ostküste Sardiniens den steil abfallenden Felsen entlang. Des schlechten Wetters wegen musste ich sehr tief fliegen und konnte deshalb Olbia per Funk nicht erreichen. Eine andere Navigationshilfe hatte ich nicht. Es dunkelte schnell, als ich mich auf der Höhe eines kleinen Küstenortes befand. Ich war gezwungen, einen Platz für eine Notlandung zu suchen. Am Hafen glänzte ein freier Platz. Beim näheren Betrachten war es aber das Hafenbecken, und die parkierten Autos waren kleine Boote. Rechts von mir erhob sich der Berghang mit vereinzelten Strassenlaternen und beleuchteten Fenstern. Wie sehr wünschte ich mir, in einem dieser Häuser zu sitzen statt in dieser verrückten Helikopterkabine ohne Landemöglichkeit! In solchen Situationen lernt man beten, falls man es zuvor noch nie getan hat. 

Ich schwebte in meiner Ratlosigkeit den Berghang empor ins Ungewisse. Da entdeckte ich ein Hotel mit beleuchteter Terrasse, die mir für eine Landung gross genug schien. Beim Näherheranschweben kam ein feierlich geschmückter Weihnachtsbaum in Sicht. Ob der wohl meinem Rotorwind standhalten würde? Eventuell müsste er für mein Überleben geopfert werden. Er schaukelte und schwankte und der Schmuck tanzte wild herum, als ich die Maschine behutsam auf die Terrasse setzte. Er blieb aber stehen. 

Überall tauchten entsetzte, fragende Gesichter auf. Erst als der Rotor stillstand, wagten sich die neugierigen Leute heran. Wer war der hohe Gast, der es sich leisten konnte, das noble Hotel per Helikopter zu besuchen? Ein Polizist war sofort zur Stelle und bat mich, ihn zur Aufklärung so rasch wie möglich in sein Büro zu begleiten. Nach dieser Nervenprobe hatte ich dann das Vorrecht, in einem bequemen Hotelbett zu schlafen. 

Der Hoteldirektor liess mich wissen, dass ich bei alledem grosses Glück gehabt habe. Unter der Terrasse befand sich nämlich ein Lebensmittelgeschäft. Hätte ich nicht direkt über einer der tragenden Säulen gelandet, wäre die Decke eingebrochen und ich wäre zwischen Früchten und Gemüsen gelandet. So kam ich wieder einmal mit dem Schrecken davon.